Montag, 25. April 2022

Fristlose Kündigung bei Unterschlagung geringwertiger Beträge?


Diese Frage stand beim LAG Hessen zur Beantwortung an. Mit Urteil vom 10.09.2021 (Az.: 10 Sa 347/21) entschied es, dass die Unterschlagung geringwertiger Beträge, hier 2,75 Euro, bei einem Busfahrer eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, wenn er zuvor einschlägig wegen „Unterschlagung von Fahrtgeldeinnahmen“ abgemahnt worden ist.

Geklagt hatte ein Busfahrer, der außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt wurde, da sein Arbeitgeber ihm die Unterschlagung von Fahrtgeldeinnahmen aus dem Verkauf von Busfahrtickets vorwirft.

So stellen nach der Entscheidung Eigentums- und Vermögensdelikte des Arbeitnehmers zulasten des Arbeitgebers stellen regelmäßig einen wichtigen Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar, denn hierin liegt ein erheblicher Verstoß gegen die Pflicht des Arbeitnehmers zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Auf die strafrechtliche Würdigung kommt es dabei nicht an, sondern auf den mit dieser Pflichtverletzung begangenen schweren Vertrauensbruch. Dies gilt im Prinzip auch bei einem rechtwidrigen Zugriff auf Eigentum des Arbeitgebers von geringem Wert. Das LAG Hessen kam daher nach diesen Gründen zu dem Schluss, dass ein wichtiger Grund an sich vorliegt, um eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Denn es stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger am 2. Dezember 2020 Geld von einer Kundin entgegennahm, ohne einen Fahrschein auszustellen. Der Kläger lieferte auch keine andere plausible Erklärung, sodass naheliegenderweise davon auszugehen war, dass er das Geld für sich verwendet hat. Damit sei die Vertrauensgrundlage im Arbeitsverhältnis entfallen.

Dabei ist auch nicht verwerflich, dass der Arbeitgeber eine Situation bewusst herstellt, in der er durch Dritte oder eigenes Personal die Ehrlichkeit von Arbeitnehmern testet. Zwar kann dies einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers darstellen, der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer auch nicht zu einer Straftat provozieren. Ehrlichkeitstests sind aber nicht ohne weiteres rechtswidrig. So kann der Arbeitgeber in alltäglichen Situationen testet, ob der Arbeitnehmer sich rechtmäßig verhält. Letzteres kann gerade bei Mitarbeitern an der Kasse angenommen werden, wozu auch der Busfahrer zählt, der Tickets verkauft. Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber gerade keine „Falle“ gestellt oder eine „besondere Verführungssituation“ initiiert. Er hat lediglich das alltägliche Kassierverhalten des Klägers als Teil dessen Arbeit kontrolliert.

 

Arbeitnehmer, die mit fremdem Geld arbeiten, teilweise auch nur mit kleineren Beträgen, ist davon abzuraten, sich dieses Geld anzueignen. Es gibt keinen Grundsatz, dass bei geringwertigen Beträgen eine Kündigung unwirksam wäre. Vielmehr kann selbst ohne vorherige Abmahnung eine Kündigung wirksam sein.

 

Martin Müller
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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Dienstag, 5. April 2022

Aufhebungsvertrages wirksam nach dem Gebot fairen Verhandelns bei Androhung fristloser Kündigung?

 

Das Bundesarbeitsgericht hat sich mit diesem Themenkomplex in einem aktuellen Urteil (Az.: 6 AZR 333/21) beschäftigt.

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, nachdem sie einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen hatten.

Der Geschäftsführer der Beklagten führte mit der späteren Klägerin in Anwesenheit eines „Anwalts für Arbeitsrecht“ ein Gespräch und erhoben gegenüber der Klägerin den Vorwurf, diese habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Die Klägerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah neben anderen Regeln eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Die Klägerin hat den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung angefochten.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Beendigungszeitraum hinaus. Sie hat behauptet, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.

So kann ein Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen sein. Unfair ist eine Verhandlung, wenn ei­ne psy­chi­sche Druck­si­tua­ti­on ge­schaf­fen oder aus­ge­nutzt wird, die ei­ne freie und über­leg­te Ent­schei­dung des Ver­trags­part­ners er­heb­lich er­schwert oder so­gar unmöglich macht.

Ob das der Fall ist, ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig macht, stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung dar, auch wenn dies dazu führt, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibt noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen kann.

Daher hatte die Revision der Klägerin beim BAG keinen Erfolg. Das BAG führt aus, dass auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt würde, es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung fehle. Denn ein verständiger Arbeitgeber durfte im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen. Ebenso ist das Landesarbeitsgericht zutreffend zu dem Schluss gekommen, dass die Beklagte nicht unfair verhandelt und dadurch gegen ihre Pflichten verstoßen hat. Die Entscheidungsfreiheit der Klägerin wurde nicht dadurch verletzt, dass die Beklagte den Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet hat und die Klägerin über die Annahme deswegen sofort entscheiden musste.

Arbeitnehmern ist zu raten, in solchen Drucksituationen nicht vorschnell Aufhebungs- Abwicklungs- oder sonstige Beendigungsverträge zu unterschreiben, sondern sich trotz der vom Arbeitgeber aufgezeigten (zeitlichen) Drucksituation einen Rat bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht einzuholen.

 

Peter Groll
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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